„ich werde den Mund nicht halten“
Das Potenzial der Kunst wachzurufen und für soziale, politische sowie gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zu sensibilisieren, steht im Zentrum der Ausstellung TURNING PAIN INTO POWER. Die Gruppenschau zeigt eine Auswahl an Künstler*innen, die den jeweils aufgezeigten Missständen mit starken, selbstbewussten und kreativen künstlerischen Strategien begegnen. Themen wie Rassismus, genderspezifische Gewalt oder der Kampf gegen Diskriminierung (beispielsweise der LGBTIQ Community), werden in der Ausstellung aufgegriffen und behandelt.
„I won’t shut up“, Englisch für „ich werde den Mund nicht halten“, ist der entschlossen kämpferische Ausspruch, der in roten Lettern den Ausgangspunkt der Ausstellung markiert. Monica Bonvicinis Arbeit thematisiert das Privileg der freien Meinungsäußerung, das in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist und geradezu dazu verpflichtet „den Mund aufzumachen“ und Ungerechtigkeiten nicht stillschweigend hinzunehmen. Dass das kritikübende Erheben der eigenen Stimme an vielen Orten der Welt nicht geschützt wird und mit einem hohen Risiko einhergeht, wird in den beiliegenden Jahresberichten der „Reporter ohne Grenzen“, „PEN International“ oder „FREEMUSE – defending artistic freedom“ eindrücklich aufgezeigt.
Nicht nur das Wort, sondern auch visuelle Ausdrucksformen wie Gesten oder Symbole können zu Zeichen des gemeinschaftlichen Widerstandes werden. Mit dem Kugelschreiber hält Giuseppe Stampone einen historischen Moment fest, der sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt hat: Während der Siegerehrung bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexico
Stadt erhebt der afroamerikanische Athlet Tommie Smith die Faust zum sogenannten Black-Power-Gruß – ein Zeichen gegen die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung. Die friedliche Proteststrategie fand, rund 50 Jahre später, in Verbindung mit der Black-Lives-Matter-Bewegung durch die Geste des Niederkniens eine Fortsetzung, die von vielen Sportler*innen weltweit in einem Akt der Solidarität ausgeführt wurde.
Homosexuelle Menschen wurden in Zeiten des Nationalsozialismus mit einem rosa Dreieck, dem sogenannte „Rosa Winkel“, gebrandmarkt. Das Symbol mussten die – aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Genderidentität – Inhaftierten als Stoffaufnäher auf der KZ-Häftlingskleidung tragen. Philipp Guflers „Kostüm Kakaduarchiv“ (2022) zeigt, wie der „Rosa Winkel“ im Nachkriegsdeutschland in Verbindung mit dem Schriftband „Schwule gegen Unterdrückung und Faschismus“ zum Zeichen gegen Homophobie und gegen das Vergessen der Gräueltaten des Nationalsozialismus eingesetzt wurde. Kontextualisiert durch die Abbildung weiterer Zeitdokumente (wie beispielweise dem Foto der Banneraufschrift „Wer die Verbrechen an Homosexuellen totschweigt, billigt sie letztendlich“) und assoziativ hinzugefügtem Bild- und Textmaterial, ergibt sich ein reiches Zusammenspiel an Verweisen und Bezügen, die sowohl zum Nachdenken als auch zum weiteren Nachforschen anregen.
Regina José Galindo setzt sich in ihrem Werk intensiv mit genderspezifischer Gewalt auseinander. In der in Meran gezeigten Videoarbeit „El dolor en un pañuelo“ (1999) wird ihr verletzlicher, da nackter (weiblicher) Körper im wahrsten Sinne des Wortes zur Projektionsfläche: An ein vertikales Bett gefesselt, wirft der Diaprojektor Bilder direkt auf ihre nackte Haut. Diese Bilder geben Zeitungsartikel wieder, die von den unzähligen Missbrauchsfällen an Frauen in Guatemala berichten. Der Körper der Künstlerin wird zur Plattform, die die an Frauen verübten Verbrechen ins Bewusstsein der Betrachter*innen ruft und zur Auseinandersetzung mit ihnen anregt.
Kunst Meran Merano Arte möchte TURNING PAIN INTO POWER als Auftakt für eine langfristige Beschäftigung mit der Schnittstelle von Kunst, Aktivismus und Bildung nutzen, um den eigenen blinden Flecken sowie den Ausgangspunkten unterschiedlicher Diskriminierungsformen nachzugehen, diese zu hinterfragen und ihnen schlussendlich entgegenzuwirken.