Die Ausstellung: Der Sammlung zugeneigt – Konstellation 2
Die Ausstellung »Der Sammlung zugeneigt – Konstellation 2« ist eine Sammlungspräsentation des Fotomuseum Winterthur und wird in Zusammenarbeit mit der Kunststiftung DZ BANK realisiert. Nadine Wietlisbach, Direktorin des Fotomuseum Winterthur, ist der Einladung von Dr. Christina Leber, Künstlerische Leiterin der Kunststiftung DZ BANK gefolgt, während des Umbaus ihres Hauses in der Schweiz eine Station der Ausstellung »Der Sammlung zugeneigt« in der Kunststiftung DZ BANK zu präsentieren. Die Sammlungskuratorin des Museum Winterthur, Alessandra Nappo, hat unter dem Untertitel »Konstellationen 2« eine vielseitige und spannende Ausstellung zusammengetragen, die wir anlässlich der internationalen Triennale der Fotografie RAY, die 2024 unter dem Titel ECHOES firmiert, in den Räumen der Kunststiftung in Frankfurt zeigen dürfen. Der Widerhall, der von der Auswahl Alessandra Nappos ausgeht, kreist nicht nur um Fragestellungen zu Identität und Körper, sondern auch um eine kritische Betrachtung des Mediengebrauchs in einem Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung.
Mit dieser Schau gibt das Fotomuseum Winterthur anhand ausgewählter Werke aus der Sammlung einen Einblick in die Tätigkeit der Institution. Das Fotomuseum Winterthur versteht sich als führend in der Präsentation und Diskussion der Fotografie sowie der visuellen Kultur. Es werden Arbeiten von insgesamt 16 Fotografinnen und Fotografen sowie Kunstschaffenden gezeigt – darunter bekannte Namen wie Neuentdeckungen.
Im Januar 1993 erblickten zwei Schwestern im Geiste das Licht der Welt: die Sammlung des Fotomuseum Winterthur, das von Beginn an als eine Stiftung fungierte, und die der DZ BANK in Frankfurt am Main, die als Unternehmenssammlung gegründet, seit 2020 ebenfalls als Stiftung firmiert. Beide Sammlungen haben sich demselben Medium verschrieben und widmen sich in größtmöglicher Offenheit fotografischen Themen sowie den heterogenen Materialien der Fotografie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch die Anzahl der Werke hier wie dort ist heute nahezu gleich. »Die Annäherung fand allerdings von zwei verschiedenen Standpunkten aus statt«, sagt Christina Leber. Während das erste angekaufte Werk der eher künstlerisch ausgerichteten Sammlung der DZ BANK die Serie »Die Schatten erinnern an nichts«, 1991 des Künstlers Dieter Appelt ist, zählen zu den frühen Arbeiten in Winterthur Porträts junger Menschen aus den späten 1980er Jahren von Paul Graham, der eher als ein Vertreter der Dokumentarfotografie gilt.
»Beide Künstler sind programmatisch für die Ausrichtung der jeweiligen Sammlung in den ersten zehn bis fünfzehn Jahren«, so Christina Leber. Gleichzeitig formulierten sowohl Urs Stahel, der Gründer des Fotomuseum Winterthur, als auch Luminita Sabau, die die Sammlung der DZ BANK initiierte, eine größtmögliche Offenheit gegenüber den sehr verschiedenen Methoden des fotografischen Ausdrucks, die sie bei der Entwicklung ihrer jeweiligen Sammlungen vorsehen wollten.
Es ist anzunehmen, dass aus diesem Grund eine Annäherung der Sammlungskonzepte stattfand. Während sich das Fotomuseum Winterthur künstlerischen Positionen gegenüber nicht verschloss, integrierte die Sammlung der DZ BANK dokumentarische Techniken, die einen individuellen Umgang erkennen lassen. Rund ein Drittel der Namen sind daher in beiden Sammlungen vertreten.
Das Ausstellungskonzept von Winterthur wurde anhand von Parametern wie Institutionsgeschichte, gesellschaftlichen Fragestellungen und der Entwicklung fotografischer Medien und Praktiken entwickelt. Es entwirft somit einen alternativen Zugang zum Format der Sammlungsausstellung, der unterschiedliche Narrative anbietet und Zugänge rund um die Sammlungspflege und Weiterentwicklung im Ausstellungsraum sowie über das Veranstaltungsprogramm aufzeigt. Über diese Herangehensweise wird verdeutlicht, dass immer eine Vielzahl von unterschiedlichsten Faktoren die (Weiter-)Entwicklung einer Sammlung beeinflussen, die über inhaltliche Überlegungen und sich verändernde kuratorische Interessen und Schwerpunkte auch auf medienkulturelle Veränderungen verweisen. »Nicht zuletzt bringt ›Der Sammlung zugeneigt‹ eine institutionelle Haltung zum Ausdruck«, so formuliert es Nadine Wietlisbach in ihrem Text zur Ausstellung, »die die Sammlungspraxis des Fotomuseum Winterthur als durchaus (selbst-)kritische und dennoch lustvolle und zugeneigte Auseinandersetzung sichtbar macht.«
Die Ausstellung des Fotomuseum Winterthur spiegelt unter anderem die Ausstellungs- und Institutionsgeschichte des Hauses wider. Nan Goldins Werk »The Sky on the Eve of Philippine’s Death, Winterthur, Switzerland« (1997) zeigt exemplarisch auf, dass – neben inhaltlichen Schwerpunkten, gesellschaftlichen Themen oder der Entwicklung fotografischer Medien und Praktiken – das Ausstellungsprogramm die Sammlung maßgeblich prägt. Nan Goldins Fotografie der Umgebung des Fotomuseum Winterthur entstand am Abend vor der Eröffnung ihrer Einzelausstellung 1997, als sie erfuhr, dass sich eine Freundin das Leben genommen hatte. Das schmerzliche Ereignis gab dem Sammlungswerk seinen Titel. Ihre Arbeit »The Sky on the Eve of Philippine’s Death, Winterthur, Switzerland« steht somit sinnbildlich für eine Sammlung, die in großer Nähe zu den Ausstellungen und beteiligten Personen und Netzwerken entstand – und weiter entsteht. Nan Goldins Arbeiten gehören zur dokumentarisch-erzählerischen Fotografie – einem der fünf Schwerpunkte der Sammlung des Museums.
Ein neuerer Fokus ist die Post-Fotografie, die digitale und vernetzte Bildtechnologien und Medien als künstlerische Ausdrucksformen nutzt. Schon früh interessierte sich das Fotomuseum Winterthur nicht nur aus kunstimmanenter, sondern insbesondere aus interdisziplinärer Sicht für die Fotografie und nahm auch deren »Ränder« in den Blick – unter anderem, indem es Werke in die Sammlung aufnahm, die das gängige Verständnis von Kunst und Fotografie herausfordern. Deutlich macht dies beispielsweise die multimediale Installation »<YO><YO><YO>«, 2007–2015 von Roc Herms. Sie besteht aus mehreren Computern samt Bildschirmen, Tastaturen, Mäusen und dazugehörigen Kabeln.
Die Installation ist inspiriert von der 1997 in Valencia gegründeten Campus Party: Einer LAN-Party, die jährlich Tausende Teilnehmende – Software-Entwicklerinnen und – Entwickler, Gamer oder Netzaktivistinnen und Netzaktivisten zusammenbringt. Die Bildschirme von Herms Installation zeigen individuelle Desktop-Oberflächen mitsamt ihren aufpoppenden Nachrichten und werden so zu Momentaufnahmen unseres Lebens am
Screen.
Neben den Sammlungsschwerpunkten und dem Fotografieverständnis des Fotomuseum Winterthur diskutiert die Ausstellung unter anderem Fragen der Repräsentation. Die mangelnde Sichtbarkeit von weiblich gelesenen Kunstschaffenden in Kunstinstitutionen zeigt sich auch in der Sammlung des Fotomuseum Winterthur: 70 Prozent der Werke stammen von männlichen Kunstschaffenden. Die Ausstellung möchte dieser Tatsache entgegenwirken und präsentiert unterschiedliche weibliche Positionen. Eine davon ist Hannah Collins. Ihre großformatige Schwarz-Weiß-Fotografie »Sex II«, 1992 steht in der Tradition der Stillleben-Malerei und zeigt ein Austernarrangement. Das Motiv der Auster wird klassischerweise als Symbol für sündige Verlockung und Sexualität sowie Reichtum und Opulenz interpretiert.
Unterrepräsentiert sind in der Sammlung neben weiblichen Positionen auch Perspektiven aus Osteuropa, dem fernen Osten sowie dem globalen Süden. Eine der Ausnahmen in der Sammlung und der Ausstellung bildet die taiwanische Künstlerin John Yuyi. Mit ihren Bildern untersucht sie unter anderem das Phänomen der Aufmerksamkeitsökonomie: Anerkennung in Form von Likes, Shares, Retweets und Follows bestimmen heutzutage den Wert von Bildern.
Werke US-amerikanischer Fotografinnen und Fotografen machen knapp 21 Prozent der Sammlung des Fotomuseum Winterthur aus. Diese Dominanz liegt unter anderem daran, dass die Fotografie in den USA bereits Mitte des 20. Jahrhunderts als Kunstform anerkannt und institutionalisiert wurde und die US-amerikanische Perspektive damit einen großen Einfluss auf die Kanonisierung ausübte. Doch auch in dieser Perspektive gibt es eine große Lücke, auf welche die US-amerikanische Künstlerin Lorna Simpson aufmerksam macht: die fehlende Repräsentation Schwarzer Menschen – vor und hinter der Kamera. Für ihre Serie »Summer ’57/Summer ’09«, 2009 stellt Lorna Simpson einzelne Fotografien aus dem privaten Bestand einer jungen Schwarzen Frau nach. Indem sie deren verführerische Posen aufgreift, zeigt sie nicht nur, wie Schönheitsideale auf diskriminierende Weise durch weiße Körper geprägt wurden und werden, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf die Leerstellen und den dominierenden weißen Blick in der Sammlung des Fotomuseum Winterthur.
Das aktuelle Sammlungskonzept des Museums dient als Leitfaden für die Weiterentwicklung der Sammlung. Auch in Zukunft werden die fünf Schwerpunkte – dokumentarisch-erzählerische Fotografie, konzeptuelle und medienanalytische künstlerische Fotografie, post-fotografische Arbeiten, Arbeiten junger Fotografinnen und Fotografen, ephemere Arbeiten und Druckobjekte – weiterverfolgt und die Entwicklung des Fotografischen immer wieder neu verhandelt. Zudem ist die Institution bemüht, dem Ungleichgewicht in Bezug auf Geschlecht oder Herkunft aktiv entgegenzuwirken und bisher unterrepräsentierte Perspektiven sichtbar zu machen.
Wie die Kunststiftung DZ BANK ist auch das Fotomuseum Winterthur führend in der Präsentation und Diskussion von Fotografie und visueller Kultur. Die Institution zeigt Arbeiten junger wie auch etablierter Fotografinnen und Fotografen im Rahmen von wechselnden Einzel- und thematischen Gruppenausstellungen. Darüber hinaus untersucht das Fotomuseum Winterthur fotografische Phänomene vor dem Hintergrund neuer Technologien und digitaler Medien und reflektiert diese kritisch. Künstlerische, angewandte und kulturelle fotografische Erscheinungsformen erforscht das Museum in ihrer breiten Vielfalt. Der Austausch und der Dialog sind für das Fotomuseum Winterthur zentral. Die Institution steht für eine reflektierte, selbstbestimmte und kreative Mediennutzung ein.
Über die Sammlung (ab 1960) gestaltet das Museum die Geschichte(n) und das Verständnis fotografischer Medien aktiv mit und erweist sich damit als ausgezeichnete Dialogpartnerin der Kunststiftung DZ BANK.