Jede zweite Person in Österreich tut es: spielen am Computer. Der Trend ist steigend und speziell über die Effekte von Ego-Shootern wird heiß diskutiert. Der Sozialpsychologe Tobias Greitemeyer hat soziale Ansteckung anhand folgender zwei Fragen erforscht: Fördern gewalthaltige Spiele die Aggression der Spielenden und werden deren Freund:innen auch aggressiver, selbst wenn sie nicht spielen?
In den vergangenen Jahrzehnten stieg der Spielekonsum am Computer kontinuierlich an und die Pandemie hat vielen Menschen noch mehr Gelegenheit für Gaming geboten. In vielen Fällen handelt es sich um gewalthaltige Videospiele und die Meinungen, ob diese zu Aggression führen, sind gespalten – selbst in wissenschaftlichen Kreisen gibt es keinen endgültigen Konsens: Manche sagen, dass Gamer:innen von Ego-Shootern aggressiver werden; andere meinen, diese könnten zwischen realer Welt und Videospiel differenzieren; eine dritte Sicht verweist auf die kathartische Wirkung, indem aggressive Impulse durch Mediengewalt vermindert werden. Tobias Greitemeyer ist Sozialpsychologe mit Schwerpunkt Medienforschung an der Universität Innsbruck und sagt, dass gewalthaltige Computerspiele Aggressionen steigern. Über diesen, wenngleich nicht großen Effekt hat er 2014 eine Metaanalyse publiziert.
Soziale Phänomene stecken uns an
Begonnen hat der Sozialpsychologe mit der weniger beachteten prosozialen Seite: Seine vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Forschungen zeigten damals, dass Computerspielende, die allein oder im Team virtuellen Charakteren helfen, dann auch in der realen Welt hilfsbereiter sind. Die Gesellschaft profitiert also davon.
In seinem Folgeprojekt, das vor Kurzem abgeschlossen wurde, hat Greitemeyer mit Unterstützung des FWF das Aggressionspotenzial von Computerspielen untersucht. Dafür hat der Psychologe eine komplexe zweistufige Fragestellung formuliert: „Soziale Phänomene sind ansteckend. Wenn ich jemanden kenne, der zugenommen hat, dann nehme ich mit höherer Wahrscheinlichkeit auch ein paar Kilo zu. Mich hat interessiert, ob die Effekte von Computerspielen ebenso ansteckend sind.“ Das hieße auf der ersten Ansteckungsstufe: Wer jemanden kennt, der aggressive Videospiele spielt, fängt wahrscheinlich auch an zu zocken, wie es umgangssprachlich heißt, und wird aggressiver. Aber gibt es noch eine zweite Ansteckungsstufe, dachte Greitemeyer weiter: „Was ist, wenn mein computerspielender Freund aggressiver wird? Werde ich dann auch aggressiver, selbst dann, wenn ich nicht spiele?“
Komplexes Studien-Setting
Ausgehend von seinen Hypothesen startete der Forscher Experimente im Labor. Aufgrund ethischer Überlegungen wurden ausschließlich Erwachsene als Proband:innen gewählt. In der experimentellen Studie spielte eine Gruppe von Personen per Zufall ausgewählt entweder ein gewalthaltiges oder ein gewaltfreies Spiel: Bei der anschließenden Messung waren die Proband:innen mit Gewaltspiel etwas aggressiver. Im zweiten Schritt wurde der Aggressionslevel einer zweiten Gruppe von nicht spielenden Personen gemessen: Sie waren aggressiver, wenn sie eine:n Freund:in hatten, der:die vorher ein gewalthaltiges Computerspiel gespielt hatte. Bemerkenswert ist dabei auch, dass sie gar nicht ein Opfer von deren:dessen Gewalt sein mussten, sondern es genügte schon, wenn sie eine aggressive Handlung der befreundeten Person beobachteten.
Die zweite Stufe der Untersuchungen erfolgte durch soziale Netzwerkstudien. Im ersten Design, dem egozentrischen sozialen Netzwerk, wurden Proband:innen befragt, wie viele aggressive Computerspiele sie selbst bzw. ihr Umfeld spielen und wie aggressiv sie sind. Aufwendiger war das zweite Design, das viel Rechenpower benötigte. Dabei wurde ein umfangreiches soziales Netzwerk mit zahlreichen Verknüpfungen erfasst: Wer kennt wen, wer spielt aggressive Spiele und wie aggressiv sind bzw. werden die Personen (Knoten) im Netzwerk?
„Unsere Reihe von Studien zeigt den Effekt, dass Spielende aggressiver werden, wenn sie gewalthaltige Spiele spielen. Noch stärker scheint der Ansteckungseffekt zu sein, wenn Personen in meinem Umfeld aggressiv sind – dann werde ich das auch, selbst wenn ich das nur beobachte. Das soziale Umfeld des Spielers reagiert also mit gesteigerter Aggression“, resümiert Greitemeyer.
Gesamtgesellschaftlicher Effekt
Das in dem Projekt beteiligte Forscherteam betont, dass die Effekte bei einer einzelnen Person gering sind, denn Aggression wird multidimensional durch viele Auslöser im Alltag beeinflusst, wie Partner:innen, Kinder, Kolleg:innen oder eben durch Videospiele. Gesamtgesellschaftlich betrachtet ergibt sich jedoch ein bedeutsamer Effekt, denn in Österreich gamen etwa fünf Millionen Menschen, hebt Tobias Greitemeyer hervor: „Mit Interventionen zur Reduktion von Computerspielkonsum kann man die Aggression der Spielenden reduzieren. Zusätzlich profitieren davon Personen, die selber nicht spielen, wie etwa Geschwister. Setzt man also beim Spielenden an, erreicht man aggressionsmindernd das komplette soziale Umfeld, das hat schon Relevanz.“
Gibt es Unterschiede bei den Geschlechtern? Typischerweise sind Frauen weniger aggressiv als Männer. Aber beide werden vom Videospielkonsum ungefähr gleich stark beeinflusst und sie werden ebenso in gleichem Maße von anderen Personen, die aggressiv sind, beeinflusst.
Gaming differenziert betrachten
Grundsätzlich versetzen Computerspiele viele Eltern in Alarmbereitschaft, Greitemeyer empfiehlt, das differenziert zu sehen. „Wenn ich an kooperative Spiele denke, so habe ich früher Fußball gespielt. Mein Sohn spielt heute mit seinen Freunden gemeinsam Computerspiele und unterhält sich darüber, hier muss man nicht vereinsamen, es gibt eine soziale Verbundenheit.“ Spielt man Ego-Shooter, gibt es auch positive Effekte, so wird etwa das räumliche Vorstellungsvermögen verbessert. Diskussionen entstehen häufig nach Amokläufen, wenn sich herausstellt, dass Tatpersonen Counter-Strike spielten – allerdings spielen das Millionen Menschen, die nicht Amok laufen. Eltern sollten jedoch hinschauen und auf die Altersempfehlungen achten, denn viele Spiele sind erst ab 18 Jahren erlaubt.